Die Canonet ist so etwas wie das Paradepferd unter den "compact Rangefinders" der 1970er Jahre. Das liegt sicherlich zum Teil an ihrer weiten Verbreitung (es wurden über 1.2 Millionen Stück produziert), zum anderen aber auch an ihrer Funktionsvielfalt und dem technischen Aufwand, mit der hier eine Kamera gebaut wurde, die dennoch hinter den damals gerade modern gewordenen SLRs immer in der zweiten Reihe stehen würde.
In der Messsucher-Renaissance erzielte die Canonet mit die höchsten Preise auf dem Gebrauchtmarkt, zeitweise wurden über 200 Euro / US$ gezahlt. Unter diesen Umständen konnte ich eine Gelegenheit, eine Canonet GIII mit Originalblitz und Tasche für unter 60 Euro zu erwerben einfach nicht vorbeigehen lassen, obwohl sie eigentlich gar nicht auf meiner Anschaffungsliste stand (mittlerweile ist sie lange wieder verkauft, mit Gewinn...)
Bei der Canonet, speziell beim letzten und ausgefeiltesten "GIII"-Modell, scheinen die Canon-Ingenieure von dem Wunsch beseelt gewesen zu sein, alles noch ein bisschen besser und ein bisschen aufwendiger zu machen als die Konkurrenz. Was bei den meisten Kameras mechanisch funktioniert (z.B. die Filmempfindlichkeitseinstellung), ist bei der Canonet elekt(on)isch. Andererseits ist der Verschluss vollmechanisch und die Belichtungsautomatik ist abschaltbar, sodass die Canonet auch ohne Batterie voll nutzbar bleibt. Nur halt ohne Belichtungsmessung.
Aber schauen wir uns die Funktionen mal der Reihe nach an:
Lichtstarkes Objektiv mit moderater
Weitwinkelperspektive. An sich nichts besonderes in
dieser Klasse. Ich bin mit den Resultaten meiner ersten
beiden Filme sehr zufrieden, aber in diversen mehr oder
weniger professionellen Testberichten zufolge schneidet
das Objektiv eher als "sehr gut, aber nicht herausragend"
ab.
Mein subjektiver Eindruck ist, dass Schärfe und
Kontrast sehr gut sind und der Abfall von Mitte zu Rand
sich auch bei offener Blende in Grenzen hält, aber
dem Objektiv möglicherweise der schwer zu
definierende "Biss" fehlt, den das Yashinon der Electro
35 oder die Hexanons der Konica S2 und S3 haben. Aber ich
habe keine wirklich vergleichbaren Aufnahmen zur
Verfügung (und auch keine Lust, Linien pro mm zu zählen.)
In jedem Fall handelt es sich um eine Konstruktion aus 6
Linsen in 4 Gruppen, wobei zur Glasherstellung teilweise
seltene Erden verwendet wurden.
Blendenautomatik, abschaltbar. Im manuellen Betrieb
ist auch der Belichtungsmesser abgeschaltet, was ein
für mich etwas unverständlicher, aber dennoch
weit verbreiteter Bug ...äh ... Feature ist. Die Belichtungszeiten
gehen runter bis 1/4 Sekunde.
An dieser Stelle sei vorweggenommen, dass die Canonet
einen ausgesprochen leisen und vibrationsarmen Verschluss
hat. Man kann durchaus die 1/4 aus der Hand riskieren,
zwar ohne Garantie, aber die Chancen stehen nicht
schlecht.
Der leise Verschluss prädestiniert die Canonet
für Einsätze wie Theater, Ballett etc. In
solchen Situationen stört höchstens, dass die
Filmempfindlichkeitseinstellung nur bis 800 ASA reicht
und die Benutzung von modernen, schnellen Filmen somit
ausscheidet (es sei denn, man nimmt einen
Handbelichtungsmesser mit, was bei solchen Einsätzen sowieso besser ist).
Blitzautomatik. Die in dieser Klasse weit verbreitete
Flashmatic (Regelung der Blende in Abhängigkeit von
Motivabstand und Leitzahl des Blitzes ist hier auf die
Spitze getrieben: Mit dem speziell auf diese Kamera
abgestimmten Canolite-D Blitzgerät kann man die
Kamera einfach auf Automatik lassen. Durch das
bloße Einschieben des Blitzes in den Hot shoe
schaltet sich der Blitzmodus ein. Der Auslöser
blockiert, wenn das Motiv außerhalb der
Blitzreichweite ist und auch, wenn der Blitz
ausgeschaltet oder noch nicht betriebsbereit ist. Zu
diesem Zweck gibt es einen zweiten Kontakt im Hot shoe,
der die entsprechenden Daten vom Blitz abfragt.
Für mich als seltenen Blitznutzer ist das ein
richtiger Vorteil, ebenso wie für den Typus des
"interessierten Laien" für den die Kamera vermutlich
gedacht war (Profis und ernsthafte Amateure hatten damals
selbstverständlich SLRs, wie gesagt, und reinen
Schnappschussfotografen wird die Canonet zu teuer gewesen
sein).
Der Canolite-D ist klein, hübsch und hat eine
Leizahl von 16 (metrisch) bei 100 DIN. Er hat
konsequenterweise keinen Kabelanschluss, sondern muss in
den Hot shoe gesteckt werden. Die Kamera hingegen hat
eine PC-Buchse seitlich hinter einer kleinen
Plastikkappe, es gibt ausserdem die Möglichkeit
Fremdblitzgeräte mit den Leitzahlen 14, 20 und 28
über entsprechende Einstellung am Blendenring im
"konventionellen" Flashmatic-Betrieb zu benutzen. Dabei
muss man nur die Nennleitzahl einstellen, da die Kamera
die Leitzahl entsprechend der
Filmempfindlichkeitseinstellung automatisch anpasst. Auch
einzigartig.
Als letztes sei noch erwähnt, dass im Blitzbetrieb
die gewählte Blende im Sucher angezeigt wird.
Das vereinfachte Filmeinlegen hätte ich beinahe vergessen. Wie Peter Lausch schreibt, ist zwar eigentlich nicht einzusehen, dass jemand, der ein Auto fahren kann keinen Film in eine normale Kamera eingelegt bekommt, aber das System funktioniert einwandfrei und ist wirklich ganz praktisch. Canon-FTb-Besitzer werden es kennen.
Verarbeitung und Handling: Die Kamera macht einen ausgesprochen hochwertigen
Eindruck. Alle Bedienungselemente fühlen sich gut
an, der Widerstand beim Bewegen ist genau richtig und die
Rastpunkte sind eindeutig. Der Auslöser hat einen
definierten Druckpunkt. Nur der Filmtransporthebel
könnte für meine Begriffe etwas mehr
Rückmeldung geben. Auch die Geräusche, die die
Kamera macht, klingen nach
erstklassiger Feinmechanik.
Die Canonet ist erheblich kleiner als die Yashica Electro
oder eine zeitgenössische SLR, etwas kleiner als die
Olympus SP, aber größer als die Konica S3 oder
die Olympus RC. Sie ist keine Hosentaschenkamera, aber
klein genug um nicht zu stören und groß genug,
um sie vernünftig halten zu können. Auch das
Gewicht liegt irgendwo in der Mitte, und es trägt
dazu bei, die Erschütterungen durch den Verschluss
zu dämpfen. Alles ist so wie es sein muss.
Leider hat die Canonet auch ein paar Schwachpunkte. Der Verschluss neigt zum Verharzen, und die Filmtransportsperre funktioniert häufig nicht. Letzteres ist durch Verbiegen eines kleinen Hebels im Inneren der Kamera leicht zu beheben, aber man muss den Lederbezug dafür abziehen, und das macht man ja nicht gerne.
Status März 2016: Verkauft.