Die Yashica Electro ist eine der wenigen kompakten, halbautomatischen Sucherkameras mit Zeitautomatik. Sonst sind mir nur noch die Olympus XA, die Agfa Selectronic S, die Voigtländer VF101 / Zeiss Ikon Contessa S310 und die russische Siluet Electro bekannt. Zeitautomatik ist die sinnvollere Halbautomatik, weil der Fotograf die Kontrolle über die Schärfentiefe behält. Das ist definitiv ein Vorteil, aber die Yashica bemüht sich, ihn auszugleichen, indem sie auf eine Anzeige der automatisch gewählten Verschlusszeit im Sucher verzichtet. Als Ausgleich gibt es zwei Warnlampen für lange Zeiten (länger als 1/30) und Überbelichtung. Das würde eigentlich reichen, wenn nicht die Warnlampen ein wenig ungenau arbeiten würden.
Sei's drum: Fast alle Fotos, die ich mit dieser Kamera gemacht habe, waren korrekt belichtet, auch auf Diafilm, und auch in Situationen, wo ich eigentlich gedacht hätte, etwas weniger Simples zu brauchen. In extremen Situationen kann man eine Belichtungskorrektur nur über die Filmempfindlichkeitseinstellung vornehmen, eine Belichtungskorrektur oder einen Messwertspeicher gibt es nicht. Wie gesagt, entgegen meinen Erwartungen hat sich dies auch nur selten als nötig erwiesen.
Die Spanne der Belichtungszeiten reicht von 1/500 bis nahezu unendlich, die Yashica ist hervorragend Kamera für Nachtaufnahmen bei available light geeignet. Verschlusszeiten bis zu zwei Minuten kann ich beschwören. Ich habe mit der Electro in einem finsteren, unbeleuchteten Altstadthaus perfekt belichtete Dias geschossen (Stativ vergessen - Kamera an die Wand gedrückt - Selbstauslöser - mehrere Sekunden belichtet). Diese Kamera und ein kleines Taschenstativ sind ein unschlagbares Paar in Innenräumen, wo man nicht blitzen darf (Schon mal versucht, in einem französischen Museum zu fotografieren?) oder nicht auffallen will (Kneipe, Konzert). Auch für die sogenannte Lomographie dürfte sie gut geeignet sein, wenn das auch möglicherweise heißen würde, Perlen vor die Säue zu werfen.
Noch was: Der Belichtungsmesser bleibt aktiv, solange der Verschluss offen ist. Wenn plötzlich jemand das Licht anmacht, reagiert die Kamera. Als diese Feature für SLR's rauskam, wurde mal ziemlicher Wind drum gemacht, und da gab es die Electro schon 15-20 Jahre... Allerdings misst sie natürlich nicht durch das Objektiv oder gar auf der Filmoberfläche, sondern ganz klassisch durch das Belichtungsmesserfenster neben dem Sucher.
Ich empfinde es als einen Vorteil, dass nicht durch einen evtl. aufgeschraubten Filter gemessen wird, da die spektrale Empfindlichkeit der Messzelle nicht die gleiche sein muss wie die des Films, und ich mich lieber auf eigene Testergebnisse und die Angaben der Filterhersteller stütze, als auf den kamerainternen Belichtungsmesser. Your mileage may vary.
Die Warnlampen für Überbelichtung und lange Zeiten werden nicht nur im Sucher angezeigt, sondern auch auf dem Kameradeckel. Also auch bei Stativbetrieb ohne Verrenkungen abzulesen. Falls einem diese Information dann nicht egal sein sollte.
Der Sucher ist groß und hell, mit Parallaxkorrektur und rautenförmigem Doppelbild. Gut einzustellen, aber das Doppelbild könnte etwas heller und größer sein, und Sauberkeit ist Pflicht. Ausserdem fehlt ein Fokushebel am Objektiv und man verwechselt schon mal Blenden- und Fokusring (zumindest wenn man, wie ich, dauernd die Kamera wechselt ...).
Grösse und Gewicht: Ich mag große und schwere Kameras, mag man sie nicht, wird man mit der Yashica seine Schwierigkeiten haben. Sie ist zwar nicht größer als eine zeitgenössische SLR, aber eben auch nicht viel kleiner. Ein bisschen leichter aber schon. Vorteil: man merkt, was man in der Hand hat (ich finde das gut ...). Besitzer neumod'scher Autofocus-SLR der professionellen Sorte werden die Yashica dennoch zu leicht finden.
Kein manueller Modus. Da man die Schärfentiefe kontrollieren kann, ist das normalerweise OK, aber wenn mal ausnahmsweise mal die Verschlusszeit kontrollieren will, hat man's schwer (Blende verdrehen, bis Überbelichtungslampe angeht + wieder eine Spur zurückdrehen = Belichtungszeit ca. 1/500 umgekehrt für 1/30.)
Im Gegensatz zu vielen anderen Kameras dieser Klasse hat die Yashica Electro keine Blitzautomatik mit Leitzahlen, man muss selber rechnen. Der Vorteil dabei: Einfaches Aufhellblitzen - einfach eine Blendenstufe kleiner einstellen, als für reine Blitzbelichtung erforderlich, den Rest macht die Kamera. Geht besonders gut mit Automatikblitzen. Blitzsynchronisation gibt es natürlich bei allen Zeiten.
Großer Pferdefuß: Die Yashica hat einen Konstruktionsfehler. In der Verschlussmechanik ist ein kleiner Gummipuffer von entscheidender Bedeutung (der sogenannte pad), und dieser neigt dazu, sich mit der Zeit aufzulösen. Man kann das reparieren, indem man zum Beispiel ein Stück Linoleum, Schuhsohlengummi oder so einklebt, muss dazu aber fast die ganze Kamera auseinandernehmen. Immerhin hat mir das zu meinem ersten Reparatur-Erfolgserlebnis verholfen, aber ... Wer (erstmal) um diese Reparatur herum kommen will, möge darauf achten, dass beim Aufziehen der Kamera ein sattes clunk zu hören ist.
Modellvarianten: Hier empfehle ich die Seiten vom Yashica-Guy. Soviel an dieser Stelle: Vorgängermodelle waren die Lynx (ohne Automatik, aber mit Objektiven bis zu f/1,4 Lichtstärke). Der originalen Electro folgte die "G" mit vergoldeten Kontakten, erkennbar an dem im Bild zu sehenden G neben dem Yashica-Logo, dann die GS und die GSN mit den jeweiligen schwarzen Schwestermodellen GT und GTN. Diese Modelle hatten statt der Batterietestleuchte ein beleuchtetes Filmzählwerk, was sehr praktisch ist, aber auch nicht wirklich unentbehrlich.
Kleiner Exkurs für Sammler und Fachleute: Für mich unerklärlich ist die Spannbreite der Filmempfindlichkeit, die man einstellen kann. Meine Electro der 1. Generation geht von 10 bis 400 ASA, die "G" von 25 bis 1000. Laut den Informationen im Web dürfte das so nicht sein, weil die 1000 ASA erst bei der GSN kamen, und alle Kameras vorher bis 500 gingen ... Dafür geht's angeblich bei der CC nur bis 400, was ein unbegreiflicher Rückschritt wäre ... zumal es bei meiner kaputten FC bis 800 geht ... oder was?
Nach der Electro mit ihren diversen G-Mutationen kamen die MC, FC, und CC. Die CC wird sehr wohlwollend besprochen, weil sie ein 35-mm f/1,8 Objektiv besitzt, ich kenne sie nicht. Die FC habe ich, allerdings will mein Exemplar partout nicht funktionieren, und ich finde den Fehler nicht (wahrscheinlich ist die CdS-Zelle tot). Ich bin nicht sicher, ob ich sie empfehlen kann. All diese Kameras haben konstruktiv wenig mit der "richtigen Electro" zu tun und sind kleiner und leichter. Blendenautomatik und Lämpchen haben alle, glaube ich.
Zubehör: Es gibt eine Nahlinse mit integrierter "Brille" zur Korrektur von Sucher und Entfernungsmesser. Das Ding heist "Yashica Auto-up und taucht ab und an bei Ebay auf. Ich habe ein solches Gerät für meine Konica Auto S3 und war tatsächlich überrascht, über die Qualität der Ergebnisse. Zu dem Auto-Up für die Yashica kann ich mangels Erfahrung nichts sagen.
Des weiteren gibt es Vorsatzlinsen für Weitwinkel und Tele, die die Brennweite auf ca. 38mm verkürzen bzw. auf ca. 59mm verlängern (WOW!). Nachteil: man muss scharfstellen, die Entfernung auf der Skala am Objektiv ablesen und anhand einer auf dem Linsenrand aufgedruckten Tabelle korrigieren. Das ist furchtbar fummelig und macht für mich den ganzen Spass zunichte, und so habe ich meine Linsen an einen glücklichen anderen Electro-Fan verscherbelt.
Status März 2016: Zwei Stück im Bestand. Sehr gelegentliche Nutzung.